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26.5.2023

AmpuKids-Gründerin Andrea Vogt-Bolm: „Diesen Partner an unserer Seite zu wissen, ist äußerst wertvoll“

Andrea Vogt-Bolm ist Gründerin und hauptamtliche Mitarbeiterin des gemeinnützigen Vereins „Ampu-Vita“ mit Sitz in Hamburg und der dazugehörigen Initiative „Ampu-Kids“. Die umtriebige Mitfünfzigerin aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg in Schleswig-Holstein kümmert sich um Kinder, die durch Amputationen Gliedmaßen verloren haben oder vor solch einer Operation stehen. Sie berät die Eltern der Betroffenen und organisiert Angebote für die Familien. Ihre 2006 ins Leben gerufene Initiative „Ampu-Kids“ wurde bereits von der UEFA mit dem „Foundation for Children Award“ ausgezeichnet. Die DFB-Stiftung Egidius Braun unterstützt gemeinsam mit der Stiftung der Nationalmannschaft über die Initiative „Kinderträume“ die Arbeit des Vereins bereits seit mehreren Jahren.

Bei einem gemeinsamen Snack konnten sich die Familien untereinander austauschen.

Frau Vogt-Bolm, in den zurückliegenden Tagen waren Sie als Leiterin der Beratungseinrichtung AMPU VITA e.V. mit Familien am Ratzeburger See unterwegs, deren Kinder durch Amputationen Gliedmaßen verloren haben oder unter Gliedmaßenfehlbildungen leiden. Wie wichtig sind die unbeschwerten Momente einer solchen Freizeit für Eltern und Kinder?

Sehr wichtig. Ich erinnere mich daran, dass mir im vergangenen Jahr eine Mutter gesagt hat, für sie sei es einer der wichtigsten Termine im Jahr, weil die Tage die Gelegenheit zum Austausch mit anderen Menschen bieten, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Und das losgelöst vom Alltagsstress. Das gilt nicht nur für die Eltern und betroffenen Kinder, sondern auch für die Geschwisterkinder. Denn diese treffen ebenfalls auf Gleichaltrige, deren Familien sich in einer ähnlichen Situation befinden. Der See, die schöne Landschaft und die freien Tage schaffen eine besondere Atmosphäre. Das ebnet den Weg dafür, Kraft zu schöpfen und neue Ideen aufzunehmen.

Am Ratzeburger See fand das Treffen des AMPU VITA e.V. und den Familien statt.

Die Freizeiten finden regelmäßig statt. In der Vergangenheit haben die Teilnehmenden schon einmal gemeinsam ein wasserfestes Seeungeheuer gebaut. Gab es nun erneut ein besonderes Highlight?

In diesem Jahr haben wir den Schwerpunkt auf eine Vielzahl von Einzelaktionen gelegt, um allen etwas zu bieten. Die Teilnehmenden sind schließlich zwei bis 22 Jahre alt und haben verständlicherweise unterschiedliche Interessen. Die Kleinen haben gewerkelt und gebastelt, den Jugendlichen wurde von einem passionierten Fachmann gezeigt, wie man Messer baut. Viele Arbeiten sind nicht nur ein netter Zeitvertreib, sondern bedeutend für die Wiedergewinnung der Feinmotorik nach einer Amputation. Daher sind auch ein Physio- und ein Ergotherapeut mit dabei. Für die Kinder und Jugendlichen werden die Tage so zu einem guten Training. Zumal sie sich auch voneinander einiges abgucken. Da zeigt dann auch schon mal das eine armamputierte Mädchen dem anderen, wie man Schuhe zubindet. Sie tauscht also die Rolle, wird von jemandem, dem geholfen wird, zur Helfenden. Das Seeungeheuer ist aber nicht vergessen. Es kommt kommendes Jahr wieder zum Einsatz (lacht).

Bereits seit einigen Jahren fördert die DFB-Stiftung Egidius Braun zusammen mit der Nationalmannschaft im Rahmen der Initiative „Kinderträume“ Ihre Initiative Ampu-Kids. Welche Vorhaben lassen sich dank der Unterstützung realisieren?

Ermöglicht werden damit unsere physiotherapeutisch-pädagogisch orientierten Ferienfreizeiten im Frühjahr und Herbst. Ohne die angesprochene Unterstützung könnten wir diese Fahrten schlichtweg nicht stemmen. Denn viele Eltern könnten die Teilnahme nicht finanzieren. Die Hilfe ist unkompliziert und gut eingespielt. Das erleichtert unsere Arbeit ungemein. Diese Partner an unserer Seite zu wissen, ist äußerst wertvoll. Manche Aktionen sorgen zudem für unvergessliche Momente. Ich denke da etwa an die Einladung der Kinder nach Wolfsburg ins Teamhotel der Nationalmannschaft vor einiger Zeit. Von diesem Erlebnis schwärmen die Kinder, die damals dabei waren, immer noch.

Den meisten Menschen werden schon Erwachsene begegnet sein, die von Amputationen betroffen sind. Heranwachsende aber nicht unbedingt. Gibt es Statistiken, die die Dimension bei Kindern und Jugendlichen verdeutlichen?

Bundesweit gibt es Jahr für Jahr rund 70.000 Amputationen bei Erwachsenen, bei Kindern sind es rund 1.200. In letzterem Fall sind die Ursachen vielfältig. Krebs- und Meningokokken-Erkrankungen, angeborene Fehlbildungen sowie Unfälle können diesen Eingriff erfordern. Genauso unterschiedlich wie die medizinischen Hintergründe sind auch die Ängste, die eine Amputation auslöst. Wenn Eltern erfahren, dass dem eigenen Kind ein Arm oder ein Bein amputiert werden muss, kippt das Leben unter den Füßen weg. Und später warten im Alltag viele ungewohnte Herausforderungen.

Amputationen können in jeder Altersklasse notwendig werden und betreffen auch schon Kinder und Jugendliche.

Worin besteht die Arbeit Ihres Vereins?

Bestenfalls kommen wir bereits vor der Amputation mit der Familie in Kontakt. Dann sehen wir den Alltag vor dem „Tag X“ und können planen, wie es danach sein könnte. Für ein sportbegeistertes Kind ist eine andere Ausrichtung der Reha nötig als für ein musisch interessiertes. Diese Weichenstellungen sind wichtig, um sich nach der Operation wieder dem Alltag anzunähern. Wir geben handfeste Tipps zu möglichen Therapien, helfen bei der Suche nach erfahrenen Medizinern, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten. Wir unterstützen auch beim Austausch mit den Krankenkassen, die uns als fachkundigen Partner kennen. Ansprechpartner sind wir zudem bei Wohnraumanpassungen oder der Integration der Mädchen und Jungen in Kindergarten und Schule. Aber wir bemühen uns ebenfalls um Tipps für Ablenkung und Aufbruchsstimmung. Psychosoziale Beratung und Begleitung finden das ganze Jahr über statt. Die zentrale Frage von Eltern und Kinder ist stets, wie es weitergeht, in Kita, Schule, Sportverein, Schwimmbad, Physiotherapie, Sexualität und Job.

Welche Rolle kann der Fußball oder Sport allgemein einnehmen, wenn es darum geht, nach dem Verlust von Gliedmaßen wieder Tritt zu fassen?

Was möglich ist, hängt immer mit der Art und Schwere der Amputation zusammen. Davon hängt dann auch der Zeitpunkt ab. Anfangs gilt es oftmals, den Eltern die Sorge vor Risiken zu nehmen. Klar ist, es ist sehr wichtig, in Bewegung zu bleiben. Für Körper und Geist. Der Mannschaftssport eröffnet ja auch die Chance, zusammen etwas zu erreichen. Und es besteht die Möglichkeit, nach all der Angst vor der Amputation und einer kräftezehrenden Zeit im Krankenhaus als Sportler wieder bejubelt und beklatscht zu werden und in den Kontakt mit Menschen zu kommen, die Vergleichbares erlebt haben. Daher ist die Gründung der Amputierten-Fußball-Bundesliga durch die DFB-Stiftung Sepp Herberger und den Verein „Anpfiff ins Leben“ auch so wichtig. Dort einmal mitzumischen, ist für viele Betroffene ein unglaublich faszinierendes Ziel.

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