Am vergangenen Wochenende haben die DFB-Stiftung Sepp Herberger und die DFB-Abteilung Qualifizierung & Schule im Rahmen der Qualifizierungsoffensive im Handicap-Fußball eine Referentenschulung auf dem DFB-Campus in Frankfurt ausgerichtet. Zu den Experten vor Ort zählten auch Wolfgang Möbius, DFB-Abteilungsleiter Qualifizierung & Schule, und Nico Kempf, stellvertretender Geschäftsführer der DFB-Stiftung Sepp Herberger. Im Interview sprechen sie über die besonderen Herausforderungen im Inklusionsfußball und über ein Pilotprojekt, das Anfang des kommenden Jahres stattfinden wird.
Herr Kempf, zum Einstieg: Was genau versteht man unter Inklusionsfußball? Und was ist mit Handicap-Fußball gemeint?
Nico Kempf: Im Inklusionsfußball spielen Fußballerinnen und Fußballer mit unterschiedlichen Behinderungen gemeinsam mit Fußballern ohne Behinderung in einer Mannschaft. Unter dem Begriff „Handicap-Fußball“ subsumieren wir verschiedene Angebote für Fußballerinnen und Fußballer mit Handicap. Beispielsweise den Blindenfußball, den Fußball für Menschen mit cerebralen Bewegungsstörungen, oder den Fußball für Menschen in den Werkstätten für behinderte Menschen. Der Inklusionsfußball zählt auch dazu und ist entsprechend eine Facette in der großen Breite unterschiedlicher Angebote im Handicap-Fußball.
Wolfgang Möbius, Nico Kempf, warum ist es so wichtig, Trainerinnen und Trainer, die im Inklusionsfußball tätig sind, weiter zu schulen?
Nico Kempf: Qualifizierte Trainerinnen und Trainer sind auch im Inklusionsfußball der Schlüssel für ein zeitgemäßes Fußballtraining, das allen Spielerinnen und Spielern gleichermaßen Freude bereitet. Es geht darum, im Training Spielerinnen und Spielern mit und ohne Handicap gleichermaßen gerecht zu werden.
Wolfgang Möbius: Ich möchte an dieser Stelle eigentlich auch gar keine Unterscheidung machen. Es ist grundsätzlich wichtig, Trainerinnen und Trainer bestmöglich zu schulen. Natürlich auch diejenigen, die im Inklusionsfußball tätig sind und sicherlich besondere Kompetenzen haben müssen.
Lassen Sie uns konkret werden: sollten Trainerinnen oder Trainer im Inklusionsfußball besondere Voraussetzungen haben? Oder ist das womöglich gar nicht nötig?
Möbius: Was die Grundsportart Fußball betrifft, nicht unbedingt. Was die Spezialisierung angeht, ist das allerdings auf jeden Fall nötig. Im Inklusionsfußball muss man Fußballerinnen und Fußballer mit ganz verschiedenen körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderungen gemeinsam mit Fußballern ohne Behinderung in einer Mannschaft zusammenführen. Das erfordert eine besondere soziale Kompetenz und auch ganz viel Einfühlungsvermögen.
Kempf: Stimmt. In Inklusionsmannschaften sind Spielerinnen und Spielern mit ganz unterschiedlichen Leistungspotenzialen und Bedürfnissen aktiv. Die Trainerinnen und Trainer sollten passende Steuerungsmittel bei der Trainingsgestaltung kennen, sodass kein Fußballer über- oder unterfordert ist, sondern alle Spaß am Fußballspiel haben.
Können Sie hierfür Beispiele nennen?
Kempf: Bewegungseingeschränkte Fußballerinnen und Fußballer könnten beispielsweise bei Fangspielen eine „Poolnudel“ als Fangarmverlängerung einsetzen dürfen. Leistungsschwächere Fußballer könnten sich bei Spielformen in eigenen Zonen aufhalten dürfen, in denen sie nicht attackiert werden dürfen. Der Kreativität des Trainers sind hier kaum Grenzen gesetzt. Wichtig ist es, dass man die Spielformen an die Spieler anpasst und nicht die Spieler an die Spielformen.
Wie bringen sich der DFB und die DFB-Stiftung Sepp Herberger konkret beim Thema Trainerausbildung im Inklusionsbereich ein?
Möbius: Ich denke, dass sich beide Institutionen sehr gut ergänzen. Der DFB kann Methodik und Didaktik sowie die fußballerischen Inhalte einbringen. Die Sepp-Herberger-Stiftung hat riesige Erfahrung im Inklusionskontext und ganz viele Kontakte in diesem Bereich. Wir haben in den Jahren 2023 und 2024 gemeinsam insgesamt mehr als 20 Trainerfortbildungen im Inklusionsfußball organisiert, die im vollen Umfang zur Verlängerung der Trainer-C/B-Lizenz anrechenbar sind. In diesem Rahmen haben wir mehr als 400 Trainerinnen und Trainer im Bereich des Inklusionsfußballs qualifiziert. Das ist eine tolle Zahl.
Gerade beginnen die Planungen für ein Pilotprojekt Anfang des kommenden Jahres. Im SportCentrum Karmen-Kaiserau wird es im Februar 2026 erstmalig einen Trainer-Kongress Handicap-Fußball geben. Was hat es damit konkret auf sich? Und warum ist es wichtig, diesen Trainer-Kongress ins Leben zu rufen?
Möbius: Meiner Meinung nach kommen hier verschiedene Aspekte zusammen. Zunächst halte ich es für sehr wichtig, den Handicap-Fußball noch sichtbarer zu machen. Das kann mit einer größeren Veranstaltung gut gelingen. Zudem wollen wir den Trainerinnen und Trainern, die eine Inklusionsmannschaft oder ein anderes Team im Handicap-Fußball betreuen, die nötige Wertschätzung entgegenbringen. Dort wird wirklich tolle und ganz wichtige Arbeit geleistet. Der dritte Aspekt ist, dass der Handicap-Fußball sehr breit aufgestellt ist. Trainerinnen und Trainer in diesem Bereich müssen vielfältige Qualifizierungen haben.
Kempf: Insgesamt können 80 Trainerinnen und Trainer aus ganz Deutschland dabei sein. Geplant ist es, dass Trainer aus den Werkstätten für behinderte Menschen, aus dem Blindenfußball und von Inklusionsmannschaften eingeladen werden. Wir freuen uns sehr, im kommenden Jahr das Pilotprojekt durchführen zu können. Zusätzlich wird es auch weiterhin einzelne Fortbildungen in den DFB-Landesverbänden geben.
Am vergangenen Wochenende fand im Rahmen der Qualifizierungsoffensive im Handicap-Fußball eine Referentenschulung im Inklusionsfußball am DFB-Campus statt. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Möbius: Es war auch hier unser Ziel, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer weiterzubilden. Das Besondere an dieser Schulung ist ja, dass wir themenspezifisch unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt haben. Bei einem Teil der Gruppe stand werteorientierte Führung im Fokus, beim anderen Teil ging es ganz konkret um den Inklusionsfußball. Spannend ist, dass es für beide Bereiche Überschneidungen in den Themen gibt. Deshalb haben wir die Schulung auch zusammengelegt.
Kempf: Es war eine aus unserer Sicht gelungene Veranstaltung, die sicherlich den Referenten neue Impulse für die jeweilige Lehrtätigkeit gegeben hat. Die Inhalte der DFB-Fortbildungen werteorientierte Mannschaftsführung und Inklusionsfußball sind fundiert, die Referenten sind sehr kompetent. Ich kann jedem Trainer nur empfehlen, diese Termine in den DFB-Landesverbänden zu besuchen. Denn dort geben die jetzt fortgebildeten Referenten ihr Wissen weiter. Wir setzen auf den berühmten „Schneeballeffekt“.
Würden Sie sich wünschen, dass noch mehr Vereine Fußballangebote für Menschen mit Behinderung umsetzen?
Nico Kempf: Zahlreiche Fußballvereine in ganz Deutschland haben ihre Strukturen für Menschen mit Behinderung bereits geöffnet und bieten regelmäßig unterschiedliche Trainingsangebote an. Viele sind seit Jahrzehnten in diesem Kontext mit großer Selbstverständlichkeit aktiv. Insgesamt sind heute geschätzt rund 1.000 Inklusionsmannschaften in den bundesdeutschen Fußballvereinen aktiv. Es ist unser Ziel, dass wir gemeinsam mit den Inklusionsbeauftragten aus den DFB-Landesverbänden weitere Fußballklubs begeistern können, Fußballerinnen und Fußballern mit Handicap ein sportliches Zuhause zu geben. Es gibt eine große Zahl an Teams, die im regulären Spielbetrieb aktiv sind, in denen Spieler mit Behinderung dabei sind. Beispielsweise eine F-Jugendmannschaft, in der ein Junge ohne Arme mit größter Selbstverständlichkeit am Ball ist. Oder ein autistischer Junge, der jetzt in der Nähe von Köln in einem Fußballverein aktiv ist. Dafür, dass das an noch viel mehr Stellen möglich wird, setzen wir uns zusammen mit vielen engagierten Menschen in der „Fußballfamilie“ ein.
Ist der Fußball das beste Mittel, um Menschen mit und ohne Behinderung zusammenzubringen?
Möbius: Ich merke immer deutlicher, dass sich die Vielfalt der Gesellschaft natürlich auch innerhalb einer Mannschaft spiegelt. Das ist ja ein ganz normaler Prozess. Und natürlich ist der Fußball, aber auch alle anderen Mannschaftssportarten, eine hervorragende Möglichkeit, um verschiedenste Menschen zusammenzubringen. Teamsportarten werden bei der Entwicklung der Gesellschaft eine zunehmend starke Rolle einnehmen.