Die 48-jährige alleinerziehende Mutter Ardo Noor Wardere und ihre vier Kinder fanden nach Bürgerkrieg, Flucht aus Somalia und elf Jahren im Flüchtlingscamp dank des Engagements des SC Aleviten in Paderborn eine neue Heimat. Möglich wurde dies im Rahmen des bundesweiten Programms NesT. Zu den Unterstützern gehörte von Beginn an die DFB-Stiftung Egidius Braun.
Am Anfang standen Zuversicht, eine Menge offener Fragen – und eine ziemlich lange Bulli-Fahrt quer durch die Republik. „Wir wussten nicht, wen wir genau in Empfang nehmen, und welche Herausforderungen auf uns zukommen würden“, erinnert sich Verani Kartum, der Vorsitzende des Fußballvereins SC Aleviten, an jenen Dezembermorgen, als er sich mit zwei Begleitern der Welcome-Paderborn-Initiative nach Leipzig aufmachte, um dort eine Flüchtlingsfamilie aus Somalia abzuholen und ins heimische Ostwestfalen zu bringen. Die trotz der festen Überzeugung, das Richtige zu tun, verbliebene Unsicherheit teilte man mit den Neuankömmlingen aus Afrika. Denn auch die fünfköpfige Familie um Mutter Ardo Noor Wardere wusste keineswegs, was sie da in Deutschland erwarten würde.
Angekommen in Paderborn gab es erste Antworten. Nach der Flucht vor dem somalischen Bürgerkrieg, elf Jahren in einer notdürftigen Behausung in einem kenianischen Flüchtlingslager und dem Tod des Vaters betraten die 48-Jährige und ihre zwei Söhne und Töchter begleitet von engagierten Unterstützern eine bestens ausgestattete und liebevoll dekorierte 100 Quadratmeter große Wohnung. Und damit eine neue Heimat fernab von Not und Gewalt. „Wir hatten den Kühlschrank gefüllt, Geschirr, Besteck, Betten, einen Tisch und ein Sofa besorgt. Eben alles, was man für den Start so braucht“, sagt Kartum. Sogar einen Weihnachtsbaum habe man aufgestellt. Immerhin sei für die Vorbereitung ausreichend Zeit gewesen und man habe sich auf die Hilfe weiterer Unterstützer verlassen können, betont der 52-jährige Vereinsvorsitzende, der sich seit vielen Jahren die Hilfe und Integration von Flüchtlingen auf die Fahne geschrieben hat.
Die Aufnahme der Familie aus Somalia war jedoch etwas Neues für den Klub. Sie fand im Rahmen des Programms „Neustart im Team“ (NesT) statt. Im Rahmen dieser Kooperation des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird es mindestens fünfköpfigen Mentorengruppen aus der Bürgerschaft ermöglicht, besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus den Erstaufnahmeländern Ägypten, Äthiopien, Jordanien, Libyen und dem Libanon in Deutschland aufzunehmen und beim Neuanfang zu begleiten. In Paderborn stellen sich neben Verani Kartum, auch seine Frau Angela, Tobias Kunold, Barbara Sieland, Julia Rustemeier und Ansgar Behrmann als Mentoren der Initiative Welcome-Paderborn dieser Herausforderung.
Die umfangreichen Erfahrungen des SC Aleviten, mit seinem Platz und Heim am altehrwürdigen Hermann-Löns-Stadion am Rande des Stadtteils Schloss Neuhaus, erweist sich dabei als hilfreich. „Das ist sehr viel Wert“, betont Verani Kartum. Man kenne Ansprechpartner in den Behörden, die Sorgen und Bedürfnisse von Neuankömmlingen und die mancherorts bestehenden Vorurteile in der Bevölkerung. Letztere machten den Einstieg auch durchaus anspruchsvoll. Zu den Voraussetzungen zur Teilnahme am NesT-Programm zählen neben Schulungen für die Mentoren und dem Nachweis ihrer einwandfreien Eignung nämlich vor allem die Bereitstellung und Vorfinanzierung einer Wohnung für die Flüchtlinge für zwei Jahre. Freie Wohnungen habe man einige gefunden, doch nicht jeder Eigentümer sei bereit gewesen, an Flüchtlinge zu vermieten, erklärt der Vorsitzende des SC Aleviten. Letztlich wurde man sich dann aber mit einem toleranten Vermieter einig, so Kartum. Neben eigenen Mitteln habe man bei der Finanzierung in erster Linie auf Unterstützung der Evangelischen Kirche Westfalen und der DFB-Stiftung Egidius Braun zurückgegriffen.
„Für uns ist die Unterstützung eine Herzensangelegenheit. Das NesT-Programm setzt auf bürgerschaftliches Engagement. Dabei spielen Vereine und Sport vielerorts eine tragende Rolle. Beim SC Aleviten zeigt sich einmal mehr, dass Fußball mehr als ein 1:0 ist“, erklärt Tobias Wrzesinski, der Geschäftsführer der DFB-Stiftung Egidius Braun.
Das gilt in diesem Falle nicht nur für die Helfer, die sich in dem Fußballklub zusammengefunden haben. Auch für Ardo und ihre Kinder erweist sich der Verein als Sprungbrett zum Start in das neue Leben. Der 16-Jährige Mohamed und sein vier Jahre älterer Bruder Abdullahi trainieren mit den übrigen Kickern des Vereins, die Mutter und ihre Töchter besuchen Sportangebote des SC für Frauen, die Angela Kartum initiiert. „Auf dem Platz kommt man schneller in einer neuen Heimat an als irgendwo anders“, sagt Verani Kartum. Das wisse er noch aus eigener Erfahrung. Er selbst sei mit sieben Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen und wie er sagt, über den Fußball integriert worden. „Beim Sport braucht es anfangs nicht viele Worte, es reicht das gemeinsame Spiel“, betont er. Und mit der Zeit lerne man Stück für Stück Gepflogenheiten und Gesellschaft kennen. „Vor allem lernt man im Umgang mit den Vereinskollegen die Alltagssprache. Das ist genauso wichtig wie das Wissen, das Sprachkurse und Schule vermitteln“, ist er überzeugt.
Auch im Falle von Ardo und ihren Kindern bröckeln Zurückhaltung und Unsicherheit. Sie weichen dem Gefühl, endlich angekommen zu sein. „Ich bin sehr glücklich, in Deutschland zu sein“, sagt die 48-Jährige. Am schönsten finde sie es, endlich auf einem elektrischen Herd kochen zu können. In Afrika habe sie das Essen noch auf einem Holzofen zubereiten müssen. So vieles, was bei der Ankunft kurz vor Weihnachten noch fremd war, wird allmählich vertraut: Türen mit Schlössern, die Dusche, die Toilette, das Essen mit Besteck statt mit den bloßen Händen, der geregelte Tagesablauf mit Sprachschule, Training und den Busfahrten dazwischen. „Und die winterliche Kälte“, sagt Abdullahi und lacht. Mentorin Julia Rustemeier berichtet davon, dass es in der Muttersprache der Familie aus Somalia keinen Begriff für Schnee gebe. „Aber irgendwie klappt die Verständigung immer“, schmunzelt die 24-Jährige, die die neuen Mitbürger bei Arztbesuchen begleitet. Verani Kartum ist wiederum der Mann, wenn es um Formulare und Bescheinigungen von Behörden geht. „Wir bemühen uns immer um Hilfe, aber wir fordern auch etwas.“ Anders als im Flüchtlingslager, wo das wenige, was die Familie hatte, zugeteilt worden sei, die Bewohner aber zur Untätigkeit gezwungen gewesen seien, biete das Leben in Deutschland Chancen. „Es erfordert aber auch Engagement“, unterstreicht er.
Bei Ardo und ihren Kindern ist offenbar Ehrgeiz vorhanden. Während seine Schwester Fadumo erstmal vom Führerschein und guten Deutschkenntnissen träumt, blickt Abdullahi weiter voraus. „Ich will Ingenieur werden“, sagt er. Und beim Fußball wolle er an seinen Qualitäten als Stürmer feilen. Vorbilder dafür konnte er unlängst aus nächster Nähe sehen. Mentor Tobias Kunold hatte ihn und seinen Bruder Mohamed mit ins Stadion zu einem Zweitligaspiel des SC Paderborn gegen Erzgebirge Aue genommen. „Das war schon ein kleiner Kulturschock“, sagt Kunold mit einem Lachen. Aber diese Seite des Fußballs habe offenbar auch das Zeug dazu, einen Zauber zu entfalten. „Es war ihm anzusehen, dass er Spaß hatte“, sagt der junge Mann. Abdullahi habe jedenfalls 90 Minuten lang das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekommen.