


Angelina Osadcha, Direktorin der ukrainischen Klitschko Foundation, hat zuletzt die zusammen mit der DFB-Stiftung Egidius Braun initiierte Inter Exchange Academy in Mannheim besucht. Der offene und tiefgründige Austausch deutscher und ukrainischer Jugendlicher hat sie begeistert und ihr Mut für die Zukunft gemacht.
Frau Osadcha, seit rund dreieinhalb Jahren attackiert Russland die Ukraine mit Soldaten und unzähligen Bomben und Drohnen. Wie erleben Sie die Lage in Ihrer Heimat vor dem nächsten Kriegswinter?
Es ist bereits der vierte Winter im Krieg – und trotzdem bleiben die Menschen in der Ukraine stark. Wir sind viel besser vorbereitet. Wir fragen uns nicht mehr: „Schaffen wir das?“ Wir fragen: „Wie schaffen wir das?“ Wir sind widerstandsfähiger geworden und haben gelernt, uns anzupassen. Auch die Kinder und Jugendlichen lernen und träumen weiter. Genau für sie arbeitet die Klitschko Foundation. Unsere Kinder sind diejenigen, für die wir durchhalten und gleichzeitig sind sie es, die uns helfen und unterstützen. Diese Generation, die im Krieg aufwächst, ist unglaublich.
Wie wichtig ist die Hilfe durch die DFB-Stiftung Egidius Braun, die sich auf die Förderung von Hilfs- und Bildungsprojekten fokussiert?
Seit 2018 ist die DFB-Stiftung Egidius Braun einer unserer wichtigsten Partner. Es geht nicht nur um finanzielle Unterstützung, sondern um gelebte Solidarität. Zu Beginn der Invasion war die DFB-Stiftung einer der ersten Partnerinnen, der sofort gehandelt und geholfen hat. Ein Beispiel ist die Inter Exchange Academy, die wir seit 2019 gemeinsam durchführen. Nach der russischen Invasion war sie 2022 unser erstes Auslandsprojekt und enorm wichtig: Für Jugendliche war die Teilnahme wie ein Atemzug voller Luft nach monatelanger Angst und Unsicherheit. Die Erfahrungen tragen sie bis heute in sich. Ich bin sicher, wenn der Krieg vorüber ist, werden sie dieses Wissen in den Wiederaufbau einbringen.
Die DFB-Stiftung Egidius Braun und die Klitschko Foundation, deren Direktorin Sie sind, hatten unlängst wieder zur Inter Exchange Academy eingeladen. Dabei kamen erneut junge Menschen aus Deutschland und der Ukraine zusammen, um sich auszutauschen und ihre Projektmanagement-Kompetenzen zu stärken. Sie haben die Veranstaltung vor Ort erlebt. Welchen Eindruck haben Sie von Ihrem Besuch mitgenommen?
Ich war von der ersten Minute an positiv überrascht. Es war keine Trennung zwischen ukrainischen und deutschen Teilnehmenden zu spüren. Da waren einfach nur Jugendliche, die sich ausgetauscht und unglaublich schnell Barrieren überwunden haben. Ukrainische Teilnehmende haben von ihrem Leben im Krieg erzählt, deutsche von ihrem Engagement – und sie haben sich verstanden, ohne Übersetzung. Wenn junge Menschen offen miteinander reden, entsteht die Grundlage für ein gemeinsames Europa, das menschlicher und resilienter ist.
Viele Teilnehmende initiieren später eigene Projekte
Können die deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich überhaupt vorstellen, mit welchen Herausforderungen das Leben junger Menschen in der Ukraine im Moment verbunden ist?
Ganz vorstellen? Nein. Aber sie versuchen es. Sie haben sich sehr dafür interessiert, wie wir leben und durchhalten. Und sie wollten konkret wissen, wie sie helfen können. Diese Offenheit und Bereitschaft ist das Wertvollste.
Die Inter Exchange Academy gibt es bereits seit einigen Jahren. Verfolgen Sie den Weg der einstigen Teilnehmenden?
Ja. Und wir sind sehr stolz auf sie. Viele initiieren inzwischen eigene Projekte wie Workshops für Jugendliche in ihren Heimatorten oder sie starten ökologische Initiativen. Viele kehren zurück zur Klitschko Foundation – als Mentorinnen und Mentoren oder Volunteers und geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen an andere weiter.
Der Namensgeber der Stiftung Egidius Braun hat sich immer für soziales Engagement und den Blick über Tellerrand hinaus eingesetzt. Er hat die Verantwortung und das Potenzial des Sports für gesellschaftliche Entwicklungen gesehen. Als einstiger Weltklasseboxer kennt auch Wladimir Klitschko die besondere Kraft des Sports, um Menschen zu verbinden. Ist dieses Anliegen in Kriegszeiten noch ein wichtiges Thema?
Seit 2022 integrieren wir mentale Unterstützung in alle unsere Projekte. Und Sport ist dabei ein wichtiges Werkzeug. Er wirkt direkt positiv auf die psychische Gesundheit – bei Kindern und bei Erwachsenen. Wir haben Sport-Bildungsprogramme und reine Bildungsprogramme, in die wir leichte Bewegung integrieren. Sport verschafft Kindern ein Gefühl von Kontrolle über Körper und Emotionen und das ist enorm wichtig, wenn um sie herum Chaos herrscht. Mit Bewegung, Teamgeist und gegenseitigem Vertrauen stärkt Sport Willenskraft und Geist.
Kann Sport denn helfen, Wunden zu heilen und wieder Brücken zwischen Völkern und Menschen zu bauen?
Völlig heilen wahrscheinlich nicht. Manche Wunden, egal ob physische und emotionale, werden die Menschen noch mehrere Jahre beschäftigen. Sport ist allerdings ein Weg, diese Belastung zu minimieren und das Leben mit diesen Wunden zu erleichtern.
Angelina Osadcha: „Unsere Werte stimmen überein“
Welchen Beitrag kann die Zusammenarbeit zwischen der Klitschko Foundation und der DFB-Stiftung Egidius Braun dabei leisten?
Wir sehen zahlreiche wichtige Berührungspunkte und Bereiche, in denen wir gemeinsam arbeiten können. Dazu zählt auch weiterhin unser gemeinsames Projekt, die Inter Exchange Academy. Und natürlich sind wir auch offen für neue Programme im Rahmen unserer Partnerschaft, die sowohl die ukrainische als auch die deutsche Jugend stärken können. Unsere Werte stimmen überein: Es geht uns um Entwicklung durch Bildung und Sport.
Welchen Wunsch haben Sie für das kommende Jahr?
Natürlich ist der wichtigste Wunsch Frieden. In der Ukraine, in Europa. Auf der ganzen Welt. Ich wünsche mir, dass Kinder ihre Eltern, ihr Zuhause, ihre Unbeschwertheit nicht mehr verlieren müssen. Und dass sich Eltern nicht in jedem Moment um das Leben und die Sicherheit ihrer Kinder Sorgen machen müssen. Ich hoffe sehr, dass wir anfangen können zu leben – und nicht nur zu überleben. Und allen, die in Frieden leben, wünsche ich, dass sie sich dieses hohen Gutes bewusst sind und sich jeden einzelnen Tag glücklich schätzen. Wir Ukrainer wissen nur zu gut, welchen Wert ein ruhiges, geordnetes Leben hat. Es ist den Kampf wert. Und es ist es wert, dass wir gemeinsam handeln und zusammenhalten.
Zur Person:
Angelina Osadcha ist seit fünf Jahren Direktorin der Klitschko Foundation, die Projekte mit der DFB-Stiftung Egidius Braun initiiert, um die Menschen in dem vom russischen Angriffskrieg gebeutelten Land zu unterstützen sowie Kontakte und Austausch zwischen jungen Leuten in Deutschland und der Ukraine zu ermöglichen. Sie ist 42 Jahre alt und lebt seit ihrer Geburt in der ukrainischen Hauptstadt Kyiv. Ein Jahr lang studierte sie an der Universität Mannheim.